Münchner Zentrum für antike Welten
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Newsletter MZAW

2-2022

Editorial

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Wer hat hier die Hosen an?

Leggings im Leopardenlook: Was die drei Herren im Bild da tragen, überrascht uns allenfalls durch die Musterung. Vielleicht nicht ganz geschmackssicher, aber im übrigen (und vielleicht gerade darum) total normal. Was heute normal ist, war es im sechsten Jahrhundert eher nicht: Wer Hosen trug, war ein Exot, und als Exoten sollen die drei Herren erscheinen. Als religiös und geographisch randständige Gruppe: Magier aus dem fernen Morgenland. Neben den Hosen (Anaxyrides) werden sie zuverlässig an ihrer Kopfbedeckung erkannt: Auch diese auf bayerischen Skipisten (oder bei Schlümpfen) heute recht normal - in der Antike und Spätantike eher exotisch. Das Kleidungsstück war bekannt als „phrygische Mütze“: kann man tragen, galt aber als barbarisch.

Eines der schönen Dinge an der Altertumswissenschaft ist, dass man lernt, wie vielfältig die Dinge sind. Darum auch der Plural im Münchner Zentrum für Antike Welten. Was den einen exotisch ist, ist den anderen normal – und umgekehrt. Das war schon in der (oft gar nicht so sehr: klassischen) Antike so; der Eindruck entsteht nicht erst durch den zeitlichen Abstand.

Exotisch für die meisten sind diverse kleine Insekten, oder anders gesagt: Wem man Expertise über Insekten zutraut, würde man zumeist nicht viel Kompetenz in antiken Welten zutrauen – und umgekehrt. Umso besser ist es, dass sich in Gestalt des MZAW-Gastprofessors Przemysław Marciniak das eine mit dem anderen auf faszinierende Weise verbindet. Er untersucht Insekten und ihre Funktion in der byzantinischen Kultur, und da gibt es allerhand zu entdecken!

Wir freuen uns, dass Prof. Marciniak bei uns ist und auf diese Weise die MZAW-Gastprofessur wieder eine sehr gute Besetzung gefunden hat. Mit dieser Besetzung ist zum ersten Mal das Fach Byzantinistik vertreten – damit eine zumindest für uns „neue Welt“ unter den antiken Welten.

Im zurückliegenden Sommersemester waren – anstelle der einen Gastprofessur – die Aktivitäten breit gestreut: Die folgenden Zeilen berichten davon. Das zurückliegende Jahr 2022 war bei weitem kein „normales“ Jahr, aber was normal und was exotisch ist… siehe oben.

Die drei Magier aus der Kirche S. Apollinare Nuovo in Ravenna tragen nicht nur Hosen und Mützen, sondern sie bringen auch Geschenke. Was mag es sein? Wir wünschen allen frohe Festtage und für 2023 viele fruchtbare Begegnungen im MZAW – exotische, barbarische, normale oder von allem etwas.

Martin Wallraff
stellvertretender Sprecher des MZAW

Abb. Die drei Magier, 6. Jh., Basilika Sant' Apollinare Nuovo, Ravenna (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Magi_(1).jpg)

MZAW-Gastprofessur für Kulturgeschichte des Altertums 2022/23

IMG_0883Przemysław Marciniak

The (Insignificant?) Other Within ...

Als Byzantinist beschäftige ich mich mit der byzantinischen Literatur, Humor, der Rezeption von Byzanz und schließlich mit historischen Tierstudien. In meinem aktuellen Projekt The (Insignificant?) Other Within: Byzantine Cultural Entomology. Transformation of the Ancient Heritage (4th–15th c.) befasse ich mich mit byzantinischen Insekten und ihrer Funktion in der byzantinischen Kultur sowie ihrer Darstellung in der byzantinischen Literatur im weitesten Sinne. Dieses Projekt stützt sich auf mehrere Disziplinen: Klassische Philologie, Byzantinistik, Kulturwissenschaften, kulturelle Entomologie und Entomologie. Durch die Analyse der Veränderungen der metaphorischen Bedeutungen, die den Insekten zugeschrieben werden, untersucht mein Projekt einen Transformationsprozess: einen Dialog zwischen alten (heidnischen) und neuen (christlichen) Metaphern und Symbolen. Mein Interesse an Insekten geht jedoch über ihre metaphorischen Bedeutungen hinaus; wesentlicher Bestandteil des Projekts ist ebenso, Insekten als eigenständige Geschöpfe und nicht nur als anthropozentrische Symbole und Träger metaphorischer Bedeutungen zu untersuchen. Denn obwohl die animal studies in der letzten Zeit an Popularität gewonnen haben, bleibt Kulturentomologie ein weitgehend vernachlässigtes Thema.

Während meiner Gastprofessur für Kulturgeschichte des Altertums will ich mich aber nicht nur mit byzantinischen Insekten befassen. Im Rahmen der geplanten Veranstaltungen am MZAW — den Seminaren (Humor, Laughter and Satire: Between Antiquity and Byzantium in diesem WiSe) sowie Tagungen zu „Sprechende Tiere in verschiedenen Kulturen“ und „Insekten in vormodernen Gesellschaften“ — freue ich mich auf den interdisziplinären Austausch mit den Studierenden und Promovierenden sowie den Kolleg:innen sämtlicher Altertumswissenschaften an der LMU.

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Vorschau

Strafe in der Antike

MZAW-Workshop vom 19. bis 20. Januar 2023
mit Prof. Dr. Przemysław Marciniak (LMU), Prof. Dr. Jan Kucharski und Dr. Jakub Filonik (University of Silesia, Katowice)

Rückblick: Seminare des Sommersemesters 2022

abb-perrone-schwabOrigenes und der Psalter: die Entdeckung und Erschließung der griechischen Homilien des Origenes im Codex Monacensis Graecus 314

mit Prof. Dr. Lorenzo Perrone (Bologna), Prof. Dr. Andreas Schwab (Kiel) und Prof. Dr. Martin Wallraff (München)

Nach langem pandemiebedingten Warten konnte das Seminar zur kritischen Erstausgabe der im Codex Monacensis Graecus 314 überlieferten griechischen Homilien des Origenes endlich stattfinden. Die Veranstaltung fand in Präsenz vom 2. bis 6. Mai 2022 unter Leitung der beiden MZAW-Gastprofessoren, dem Herausgeber der kritischen Edition, Prof. Dr. Lorenzo Perrone (Bologna), dem Gräzisten, Prof. Dr. Andreas Schwab (CAU Kiel), sowie dem Münchner Kirchenhistoriker, Prof. Dr. Martin Wallraff (LMU München), statt. Weitere Beiträge von Prof. Dr. Andrea Villani (Göttingen/Bologna) und der Doktorandin Simone Oelke (Regensburg) bereicherten das Seminar. Im Zentrum standen die Texte der 29 Predigten des Origenes über die Psalmen, die im Münchner Codex, der 2012 von Dr. Marina Molin Pradel (BSB) entdeckt wurde, überliefert sind. Die Erstausgabe wurde von Lorenzo Perrone unter Mitwirkung von Marina Molin Pradel, Emanuela Prinzivalli und Antonio Cacciari in der Reihe „Griechische Christliche Schriftsteller“ (2015) veröffentlicht. Perrone legte darauf eine italienische Übersetzung mit Kommentar vor: “Origene. Omelie sui Salmi: Codex Monacensis Graecus 314”, Città Nuova, I—II, Roma 2020—2021. Die kritische Ausgabe und die Kommentare waren immer wieder Referenzpunkt und dienten der Orientierung.

Foto Seminar PerroneDas Seminar wurde mit Impulsvorträgen von Prof. Schwab und Prof. Wallraff eröffnet. Prof. Schwab stellte Fragen und Überlegungen zum origenischen Musikbegriff und zur Stimme, zur Heuristik des Suchens und Findens bei Origenes sowie zur „Musik, die von Gott kommt“, vor. Prof. Wallraff eröffnete die Lesung und Diskussion über die Texte des Origenes ebenfalls mit einem musikalischen Thema als Ausgangspunkt. Am zweiten Tag sprach Simone Oelke über die Methode der Schriftauslegung des Origenes, wie sie sich aus der Homilie I über Psalm 80 ergibt, wobei sie sich auf die von Origenes hergestellte Korrespondenz zwischen Pauke, Harfe und Kithara mit Körper, Geist und Seele konzentrierte. Es folgte die Lektüre einiger Passagen aus den Homilien, insbesondere des Proömiums der ersten Homilie über Psalm 36, das eine Reflexion über die hermeneutische Methode enthält, die Origenes bei den Psalmen anzuwenden behauptet und die drei verschiedene Ebenen umfasst: mystisch (ἀπόρρητά τινα καὶ μυστικά); prophetisch-christologisch (τά περί του̃ σωτη̃ρος) und ethisch-therapeutisch (τά ἢθη ἡμω̃ν θεραπεύει). Der 3. Tag wurde im Schmeller-Raum der Bayerischen Staatsbibliothek eröffnet, so dass die Teilnehmer die Handschrift – den Monacensis Graecus 314 selbst – mit Erklärungen von Prof. Dr. Patrick Andrist prüfend in Augenschein nehmen konnten (s. Foto). Der gute Zustand der Handschrift, die auf das 12. Jahrhundert zurückgeht, ermöglichte es, bestimmte Details wie das Vorhandensein zahlreicher Scholien voller gelehrter Verweise auf andere klassische und spätantike Autoren und die falsche Autorenangabe mit dem Namen Psellus noch besser zu erkennen.

Am Abend wurde Prof. Perrone von der Evangelisch-Theologischen Fakultät in einer Feierstunde die Ehrendoktorwürde verliehen, womit die Arbeit und der umfangreiche Beitrag des MZAW-Gastprofessors zum Studium des Origenes während seiner gesamten Laufbahn gekrönt wurden. Im Anschluss an die Ehrung trug Perrone Überlegungen zu „Origenes im Dialog: vom Disput zum Gebet“ vor, in denen er den Charakter der Dialogizität im Werk und im Denken des Origenes erörterte und vorschlug, diese nicht so sehr als platonisches oder sokratisches Erbe zu interpretieren, trotz der bekannten Offenheit des Origenes gegenüber der klassischen Welt, sondern vielmehr als einen Dienst des Autors am Wort Gottes, das verkündet, erklärt und gelehrt werden musste.

Tags darauf trug Prof. Villani Überlegungen über die Prosopopoiia und die prosopologische Exegese bei Origenes vor – zunächst zur Verwendung dieser rhetorischen Figur in der klassischen Welt und im Kontext des antiken Schulunterrichts, darauf in Origenes' Werk Contra Celsum und in den neuen Homilien. Am letzten Tag konzentrierte sich das Seminar auf die Lektüre einiger Passagen aus den Homilien zum Thema der Schöpfung; insbesondere beschäftigten wir uns mit dem Text der Homilie III über Psalm 76. In der allegorischen Auslegung von Vers 17 des Psalms 76 vertritt Origenes eine interessante panpsychistische Interpretationshypothese (ὅτι πάντα ἐψύχωται) bezüglich der Natur der Schöpfung. Etwas weiter schlägt der Autor eine andere bemerkenswerte Interpretation desselben Verses vor, die einigen heidnischen und jüdischen Positionen nahesteht, wonach die im heiligen Text erwähnten Elemente der Natur als Engelsmächte zu verstehen seien, auf die sich alle Phänomene und Naturelemente bezögen. Daher geht Origenes so weit zu sagen, dass die Heiden nicht ganz falsch liegen, wenn sie hinter den Erscheinungen und Elementen der Natur lebendige Kräfte erkennen. Mit einer lebhaften Aussprache über das Wesen und die Rolle der Engelsmächte in der Schöpfung, wie sie im Origenes-Text beschrieben werden, ging die letzte Sitzung des Seminars zu Ende. Das Seminar zeichnete sich durch einen kontinuierlichen Dialog zwischen Dozenten, Experten und Teilnehmern aus, mit dem Ziel, eine fruchtbare Exegese der Exegese durchzuführen, die schließlich eine reiche Untersuchung der Kriterien der spätantiken Hermeneutik darstellte, wie sie im homiletischen Werk eines ihrer größten Vertreter zum Ausdruck kommen. Verlauf und Charakter des Seminars entsprachen so ganz dem Charakter dieser Origenes-Texte: Unter der Leitung großer Experten konnten sich die Teilnehmer in ‚die Schule des Origenes‘ versetzt fühlen, dem es einmal mehr gelang, seine Leser durch seine Predigten nicht nur zu belehren, sondern vielmehr auch zu faszinieren und zu erbauen.

Eleonora di Felice
Erasmusstudentin aus Rom, im Sommersemester an der CAU zu Kiel

Early Syriac Funerary Mosaic, UrfaPagan to Christian: the earliest Syriac inscriptions and legal texts

mit Prof. Dr. John Healey (Manchester)

The MZAW-Research Seminar ”Pagan to Christian: the earliest Syriac inscriptions and legal texts“ led by Prof. Dr. John Healey provided doctoral students with the opportunity to read in detail some selected inscriptions of the first three centuries CE in Syriac and Nabataean. The seminar consisted of three sessions. During the preliminary meeting, the attendants introduced themselves who represented a wide range of deciplines from Semitic linguistics to Classical archaeology. Each attendant was assigned an inscription which they should prepare in detail and lead the discussion in the coming sessions. The aim was to generate shared insights from different fields of study. The next session featured Nabataean inscriptions. After a general introduction of the language by Prof. Healey, two inscriptions from the funerary context were thorougly investigated in terms of genre, historical background, and literary critics. Most Nabataean inscriptions were legal texts that reflected the handling of private properties, such as tombs, in the Nabataean Kingdom during the first century CE. Some also witnessed Arabic influence on the Nabataean language. The last session finally was devoted to early Syriac inscriptions mainly from the second century. The four selected dedication inscriptions of tombs and monuments revealed the missing monetary punishment in case of misusing properties compared with Nabataean ones. Some later epigraphs demonstrated the cross iconography that could relate to Christianity. A round-up discussion concluded the seminar successfully.

Junjie Zhou
Klassische Archäologie, PAW

MaierArcanaÄgypten jenseits seiner selbst. Rezeption und die Gegenwart der Vergangenheit

mit Prof. Dr. Miguel John Versluys (Leiden) und Dr. Florian Ebeling (München)

Im Zuge der MZAW Vortrags- und Seminarreihe dieses Sommers, fand vom 16. bis zum 20. Juni 2022 das Forschungsseminar „Ägypten jenseits seiner selbst. Rezeption und Gegenwart der Vergangenheit“ statt. Die Veranstaltung wurde vom MZAW Gastprofessor Miguel John Versluys (Universität Leiden) und Dr. Florian Ebeling (LMU München) unter Mitarbeit von Patrizia Heindl geleitet. Damit konnte das transdisziplinäre Thema mit einem disziplinären Hintergrund von Klassischer Archäologie, Philosophie und Ägyptologie bearbeitet werden.

Die thematische Einführung begann bereits am Abend des 15. Juni durch einen MZAW-Abendvortrag des Gastprofessors unter dem Titel „The hounting past. Objects, agency and Roman cultural formation“, der von Dr. Florian Ebeling mit einem philosophischen Rahmenvortrag eingeleitet wurde. Zum ersten Mal seit Beginn der Covidpandemie konnte auch wieder ein Empfang als Ausklang des Vortrages veranstaltet werden. Dank der technischen Organisation des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst war es möglich, den Vortrag nicht nur vor Ort, sondern auch online im Livestream oder im Nachgang erleben zu können. (https://www.youtube.com/watch?v=S5FPyHzYDeE).

Am folgenden Tag, begann das Forschungsseminar mit 10 präsenten Teilnehmer:innen. Neben zwei Doktoranden des PAW waren Gäste aus Deutschland und England angereist, per Zoom konnten weitere fünf Kolleg:innen, zwei davon aus Ägypten, teilnehmen.Versluys-Seminar

Das gesamte Seminar war von einer sehr regen und intensiven multisprachlichen Diskussionskultur nach dem Schweizer System geprägt, die alle Beteiligten in ihrer Forschungsfreude beflügelte und zu neuen interdisziplinären und internationalen Forschungsvorhaben anregte.

Am ersten Seminartag wurde die Forschungsgeschichte aufgearbeitet und am zweiten die wichtigsten aktuellen Forschungstrends diskutiert. Am dritten Tag ermöglichte Florian Ebeling einen Einblick in die rezeptionsgeschichtliche Arbeit mit Texten, was am Abschlusstag durch Miguel John Versluys‘ Einführung in die Arbeit mit Objekten und der Bedeutung der Materiellen Kultur abgerundet wurde. Zwischendurch gab es noch eine Spurensuche nach Ägyptischem im Stadtbild Münchens, die gemeinsam als Fahrradtour gestaltet wurde.

Jeder Veranstaltungstag wurde durch Vorträge und Diskussionsrunden mit externen Spezialisten erweitert. Als Gäste durften wir Dr. Alfred Grimm, PD Dr. Isabell Grimm-Stadelmann, Prof. Julia Budka und Prof. Thomas Reinhardt willkommen heißen. Durch die breite Struktur des Forschungsseminars konnten die möglichen Perspektiven auf das Thema aufgezeigt werden, was die Erkenntnis förderte, dass die Erforschung der Rezeptionsgeschichte Ägyptens ein so intellektuell herausforderndes wie wissenschaftlich lohnendes Thema ist, das weit über die „Ägyptomanie” hinausgeht.

Dem MZAW sowie den Gastdozenten wird von allen Teilnehmenden herzlich für diese wunderbare Veranstaltung gedankt, die allen in bester Erinnerung bleiben wird.

Florian Ebeling und Patrizia Heindl
Ägyptologie/MZAW

Rawson Seminar 1_klein

China in Eurasien

mit Professor Dame Jessica Rawson (Oxford)

Im Sommersemester 2022 bot Jessica Rawson, renommierte Spezialistin für chinesische Kunstgeschichte und Archäologie, während ihrer zwei Aufenthalte am MZAW Einblicke in ihre aktuellen Projekte. Ein Schwerpunkt ihrer Forschung liegt auf Kulturkontakten zwischen China und Gesellschaften in Außengebieten, insbesondere in Zentralasien und im eurasischen Steppenraum. Diese Kontakte verfolgt sie anhand unterschiedlicher Spuren in der materiellen Kultur seit der Jungsteinzeit teilweise bis zur Gegenwart.

In ihrem MZAW-Gastvortrag “Empires of Jade and Empires of Gold: Object Languages” am 13. Juli stellte sie die zwei auf entweder das eine oder das andere Material als höchste Kostbarkeit ausgerichtete Traditionen im Westen und im Osten Eurasiens als zwei ästhetische Wertesysteme gegeneinander und wies auf die Bedeutung von Kulturen des eurasischen Steppengürtels als einer Kontaktzone hin, über welche Goldschmuck und damit verbundene Wertevorstellungen das frühe China im 1. Jahrtausend v.u.Z. erreichten. Dennoch sind die meisten in frühchinesischen Gräbern ausgegrabenen Goldobjekte keine Importstücke oder bloße Nachahmungen. Vielmehr übersetzen sie in Bezug auf heimische Kunsthandwerktraditionen dieses neue Material in die eigene „Sprache“.

In einem weiteren Vortrag am Institut für Sinologie „The search for horses from the north: A key driver in China's early international relations from Shang (c. 1200 BC) to Tang (AD 618—906)" ging die Gastprofessorin der Frage nach, wie der Bedarf nach Pferden als Zugkrafttiere die Interaktion zwischen China und dem Steppenraum bedingte. Sie wies insbesondere auf naturgeografische Gegebenheiten der chinesischen Zentralebene hin, welche die Entwicklung einer eigenen Pferdezucht verhinderten. Dazu zählten das Klima und die Bodeneigenschaften. Da Pferde aber bis zum 20. Jh. essenzielle Verkehrsmittel und sogar Waffen im Krieg darstellten, war China auf Importe aus dem Norden angewiesen, was wiederum einen prägenden Faktor der chinesischen Außenpolitik darstellte.

In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Maria Khayutina (LMU, Lehrstuhlvertretung für Sinologie) bot Prof. Rawson zudem das Hauptseminar „China in Eurasien“ an. In der Einführungsvorlesung umriss sie zunächst naturgeografische Rahmenbedingungen Chinas und des eurasischen Steppenraums. Sie zeichnete nach, wie Herdentiere, Metallurgie und Pferde entlang der Steppen- und Gebirgskorridore Einzug nach Nordchina fanden und welche Folgen ihre Ankunft in einer bereits hoch entwickelten Gesellschaft hatten. Zudem stellte sie die spätjungsteinzeitlichen Stadtanlagen Taosi und Shimao als wichtige Schnittstellen zwischen dem Norden und der chinesischen Zentralebene vor. In einer zweiten Einzelvorlesung widmete sie sich einem außergewöhnlichen Fund aus dem ca. 7.—6. Jh. v.u.Z. in Ostchina, dem Grab des Fürsten von Zhongli in Bengbu. Dies ist das einzige kreisförmige Grab mit einer Aussichtsterrasse und einer aus Ton nachgeahmten „Felsbrockenbrüstung“. Prof. Rawson führt diese und andere Merkmale des Bengbu-Grabes auf Steppenkurgane, vor allem Arzhan 2 in der Republik Tuwa (Russische Föderation), zurück. Mit diesem spektakulären Beispiel lenkte sie die Aufmerksamkeit auf eine lange Kommunikationslinie entlang der eurasischen Ostküste, die bereits seit der Jungsteinzeit im Betrieb war. In weiteren Sitzungen befassten sich die Seminarteilnehmer:innen aus den Studiengängen Sinologie und Vor- und Frühgeschichte mit archäologischen Kulturen, die im Zeitraum zwischen ca. 3000 und 300 v.u.Z. im Gebiet zwischen Ural und dem Tal des Gelben Flusses verbreitet waren.

Maria Khayutina
Sinologie/MZAW

Promotionsprogramm Altertumswissenschaften

decker_fotoChristopher Decker (Alte Geschichte)

Monarch und Princeps. Die Demonstration des kaiserlichen Ranges und die Dynamik des senatorischen honor im 1. Jh. n. Chr.Deckers_abb1

Die Rolle des römischen Kaisers ist insbesondere im frühen Principat mit einer Paradoxie verbunden, die sich in den Extremen einer zurückhaltenden und expressiven Repräsentation entfaltet. Seit der Etablierung des neuen Herrschaftssystems sah sich der Kaiser mit den republikanisch gewachsenen Demonstrationsformen des senatorischen Ansehens konfrontiert, das unter dem Begriff honor als zentrale Ordnungskategorie der Aristokratie gefasst werden soll. Der Herrscher musste sich dieser tradierten Repräsentationsmechanismen bedienen, um den senatorischen Ansprüchen zu genügen, die eine partielle Verschleierung seines herausgehobenen Ranges verlangten. Zugleich wurde jedoch eine spezifische Ausprägung des kaiserlichen Auftretens in der soziopolitischen Öffentlichkeit erwartet und auch durch den herausgehobenen sozialen Status des Kaisers unumgänglich. Denn erst eine entsprechende Visualisierung verlieh dem spezifischen honor in der auf öffentlicher Wahrnehmung und Darstellung beruhenden römischen Gesellschaft die Wirkungskraft des Prestiges (auctoritas).

Das Ziel meines Promotionsprojekt lautet somit, die Entwicklung und Entfaltung einer kaiserlichen Darstellungsstrategie von Augustus bis Domitian herauszuarbeiten, die den Rang des princeps nach außen hin demonstrierte. Dem schließt sich eine Analyse des herrscherlichen Umgangs mit den senatorischen Darstellungsformen des honor an. Auf diese Weise sollen Entwicklungslinien einer kaiserlichen Rangentfaltung in ritueller Performanz sowie repräsentativer Visualisierung in Bild und Text erkennbar gemacht werden. Dabei werden die Überlegungen von Andreas Alföldi zur Repräsentation der römischen Kaiser durch das Habitus-Konzept von Pierre Bourdieu erweitert.

Ferner wird untersucht, ob die Zurücknahme der öffentlichen Visualisierung des herrscherlichen Ranges als singulärer Erklärungsansatz für die Kommunikations- und Integrationsprozesse der römischen Führungsschichten im 1. Jahrhundert n. Chr. begriffen werden kann. Der Kaiser soll daher nicht nur als die Verhältnisse nivellierender princeps, sondern auch als die machtpolitische Realität abbildender Monarch gefasst werden.

Deckers_abb2

Durch die intensive Vernetzung verschiedener Fachbereiche und den stets warmherzigen Umgang erweist sich das PAW schon jetzt als große Bereicherung für meine Promotion. Die Zusammenarbeit unter uns Doktoranden gestaltet sich trotz eines engen Terminkalenders äußerst angenehm und inspirierend. Als Sprecher der Doktoranden des PAW ist es mir ein besonderes Anliegen, einen engen Austausch untereinander zu fördern. Erfreulicherweise konnten viele Treffen in diesem Semester realisiert werden, weitere sind bereits in Planung. Sehr lobenswert ist darüber hinaus das Rahmenprogramm innerhalb des MZAW, in dem viele Vorträge und Forschungsseminare zu ausgewählten altertumswissenschaftlichen Themen stattfinden. Besonders nützlich war für mich das Forschungsseminar von Herrn Prof. Dr. Miguel John Versluys (Universität Leiden) und Herrn Dr. Florian Ebeling (LMU) über die Rezeption des antiken Ägyptens. Dort konnte ich erkennen, wie altägyptische Formen herrscherlicher Repräsentation aktiv von römischen Kaisern aufgegriffen wurden.

Abb. 1 Augustus von Prima Porta (Rom, Vatikanische Museen, Inv. 2290), Marmorkopie eines Bronzeoriginals
Abb. 2 Adventus des siegreichen Kaisers (Domitian, später umgearbeitet zu Nerva) auf dem Cancelleria-Relief Fries A (Rom, Vatikanische Museen, Inv. 13389/90/91)

Seit 2013 erscheint halbjährlich der  Newsletter des Münchner Zentrums für Antike Welten (MZAW) — bis 2021 gemeinsam mit der Graduate School Distant Worlds (GSDW) —, in dem über Wissenswertes rund um die Altertumswissenschaften an der LMU München und ihre Kooperationspartner berichtet wird. Alle Ausgaben des Newsletters bis 2021 sind hier als pdf zum Download abrufbar.