Münchner Zentrum für antike Welten
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Dissertationsprojekt

Karthago in der frühaugusteischen Literatur − eine Diskursanalyse

Im Jahr 29 v. Chr. gründete Octavian unmittelbar nach dem Ende der Bürgerkriege die Colonia Concordia Iulia Karthago auf dem Boden des 146 v. Chr. zerstörten und verfluchten punischen Karthago. Auffällig bei der Neugründung ist, dass Karthago als betont römische Stadt errichtet wurde. Es blieb nämlich nicht nur bei einem ‚bloßen‘ Neuaufbau, sondern die Ruinen der ehemals punischen Stadt wurden radikal umgestaltet. Unter anderem wurde die Byrsa um bis zu neun Meter abgetragen und massiv in die Straßenorganisation eingegriffen. Diese Maßnahmen sind ein materieller Niederschlag des Versuchs Octavians, Karthago durch die Ausstattung mit römischen Elementen in das imperium zu integrieren. Die Benennung der Stadt − Colonia Iulia Concordia Karthago − unterstreicht den Symbolgehalt dieser Maßnahmen an diesem für Rom so wirkmächtigen Gedächtnisort: Karthago sollte eine römische Stadt, eine Stadt der Iulier und ein Ort der concordia sein. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Umwälzungen lässt sich die Gründung als Ausdruck früh-augusteischer Programmatik lesen: Nach den Bürgerkriegen waren Fragen des Neuanfangs und der Wiedereingliederung ehemaliger Gegner in das Reich virulent. Indem Octavian Karthago ins Reich integrierte, setzte er ein starkes Signal seines aktiven Strebens nach Eintracht im Inneren und Integration ehemaliger Erzfeinde.

Ich möchte untersuchen, inwiefern sich auch in der früh-augusteischen Literatur ein Wandel in der Modellierung Karthagos/der Karthager feststellen lässt. Werden die Karthager bzw. Karthago mit literarischen Techniken verfremdet oder integriert, welche Eigenschaften werden ihnen zugeschrieben? Welche Aussagen werden in diesem Zusammenhang zu den unmittelbar nach Actium so wichtigen Themen wie Integration, Eintracht, Neuanfang, Pietät, etc. getroffen? Im Mittelpunkt meiner Untersuchungen sollen Vergils Aeneis und das Geschichtswerk des Titus Livius stehen. In der Aeneis nehmen die Karthager und Karthago einen breiten Raum ein, besonders in den Büchern 1 und 4, anhand derer die früh-augusteische Leserschaft einige Bezüge zum eigenen historischen Kontext herstellen kann. Auch im livianischen Geschichtswerk lässt sich im Vergleich zur römischen literarischen Tradition eine Öffnung der punischen Protagonisten und der Darstellung Karthagos konstatieren.

Diese Beobachtungen wurden teilweise schon früher gemacht, allerdings noch nie konsequent auf den zeitgenössischen historischen Kontext bezogen. Bisher sah man in der prominenten Rolle Karthagos in der Aeneis besonders Verbindungen zum Aufenthalt des Odysseus bei den Phäaken in der homerischen Odyssee, oder einen bloßen Reflex auf die historische Neugründung Karthagos unter Octavian. Zeitbezüge wurden in der von Aeneas über Caesar an Octavian vererbten Pflicht zur Neugründung Karthagos und in der concordia-Thematik hergestellt, aber nicht weiter verfolgt.

Diese Lücke möchte meine Arbeit schließen, indem die verschiedenen Karthago-Diskurse in der früh-augusteischen Literatur mittels der Diskursanalyse herausgearbeitet und in ihrem historischen Kontext verortet werden sollen. Dazu ist es neben einer genauen Durcharbeitung der augusteischen Literatur notwendig, die verschiedenen Karthago-Bilder der ausgehenden Republik als Kontrast zu denen der früh-augusteischen Zeit herauszuarbeiten und die literarischen Mittel zu untersuchen, mithilfe derer diese auf die Entstehungszeit der Texte bezogene(n) Lesart(en) ermöglicht wird/werden.